Siniša Ilić

Siniša Ilić (geboren 1977, lebt und arbeitet in Belgrad) ist ein bildender Künstler, der Arbeiten auf Papier mit Installation, Video und Performance verknüpft. Sein Werk dreht sich um verschiedene gesellschaftliche Konfliktbereiche, sei es in Bezug auf Nachhaltigkeit, kulturelles Erbe, Arbeitsbedingungen oder Migration, sowie um die Möglichkeiten, freundschaftliche Allianzen und Solidarität aufzubauen. Der Künstler nähert sich diesen Themen vielfach aus einer historischen Perspektive, wobei er das Verhältnis zwischen dem Globalen Süden und Norden, insbesondere im Hinblick auf gewalttätige Auseinandersetzungen, hinterfragt. Ein Hauptaugenmerk in Siniša Ilićs Arbeiten gilt dem ehemaligen Jugoslawien, sowohl hinsichtlich seiner historischen Bedeutung als auch heutiger Konnotationen. Dabei versucht er zu ergründen, weshalb die Vergangenheit oftmals Wege findet, durch die Risse der Geschichte zu sickern, und welche Möglichkeiten es gäbe, sie mit der Gegenwart zu versöhnen.

In seiner Rauminstallation mit dem Titel Filigran schlägt Siniša Ilić eine neue Lesart der Stadt Skopje vor. Seine Arbeit verbindet acht abstrakte skulpturale Objekte aus der Sammlung des MoCA Skopje mit eigenen Zeichnungen, Collagen und Bewegtbildmaterial, die er auf unterschiedlich hohen Podesten platziert. In dieser Szenografie wird dem Publikum ein ungewöhnlich nahes Erleben der Kunstwerke ermöglicht, da die Betrachtenden eingeladen sind, mit dem Raum zu interagieren und in nächster Nähe der Arbeiten Platz zu nehmen.

Die unregelmäßige Podestlandschaft spiegelt die Topografie der Stadt Skopje und die verschiedenen Blickwinkel wider, von denen aus wir über die Geschichte der Stadt und ihr außergewöhnliches Mäandern zwischen Erdbebenverwüstung und Modernität nachdenken können. Besonders hervorgehoben wird dies durch Dimo Todorovskis Skulptur Mother and Child – Skopje Tragedy [Mutter und Kind – Skopje Tragödie] (1963), die als einziges figuratives Werk in der Auswahl die drastischen Folgen des Erdbebens unmittelbar vor Augen führt.

Die zeitgenössischen Werke von Siniša Ilić beschreiben hingegen die völlig veränderte Gegenwart Skopjes – Choreografien von Bau und Abriss sowie das Wiederverwerten von Materialien, aber auch gegenwärtige Arbeitsbedingungen. Eine der Zeichnungen, die der Künstler aus dem Gedächtnis angefertigt hat, zeigt ein Fast-Food-Restaurant in Skopje. Sie lenkt unseren Blick auf eine Gemengelage von Wirtschaftskrise und Lethargie, die von einem anderen, eher symbolischen Erdbeben erzählt.

Die Arbeit Filigran – deren Titel sich auf eine Technik bezieht, bei der Gold- oder Silberdraht zu zarten Ornamenten verarbeitet wird – erinnert daran, auf welch filigrane Weise die Fäden von Geschichte und Gegenwart miteinander verbunden sind und ein komplex gewebtes Muster bilden, das das Trauma der Vergangenheit und seine Resonanz im Heute sichtbar macht.

No Feeling Is Final. The Skopje Solidarity Collection – Audioguide

Interview mit Siniša Ilić

1. Welchen Eindruck hattest du von Skopje und von der Solidarity Collection des MoCA Skopje? Was fandest du an der Sammlung interessant?

Die Schichten. Die Sammlung wirkt wie eine Konstruktion, die sich im Lauf der Zeit immer wieder neu formt. Man hat das Gefühl, dass sie sich selbst „kuratiert“, weil sie auf Spenden und Schenkungen beruht; dadurch bleiben ihre Ökonomie und ihr Rhythmus öffentlich – sie gehört gleichzeitig den Institutionen, den Stifter*innen, den Publikumsgruppen und anderen. Das ist spannend, und es ähnelt dem Eindruck, den ich von Skopje habe: eine Oberfläche mit vielen Kratern, Ausbrüchen und Strängen, die eine zerbrechliche Landschaft bilden.

2. Wie schaffst du eine Beziehung zwischen den Werken, die du aus der Sammlung ausgewählt hast, und deiner eigenen künstlerischen Praxis?

Filigran zeigt Skulpturen aus der Sammlung, die von abstrakten bis zu figurativen Formen reichen. Die Skulpturen verhalten sich komplementär zu meinen Arbeiten auf Papier und auf Bildschirmen. Ich wollte die Spannungen zwischen den Schichten und Geschichten inszenieren, die durch diese Sammlung, den gegenwärtigen Zeitpunkt, die künstlerischen Formen und das Erdbeben erzeugt werden. Anstatt nur einem einzigen Handlungsstrang oder Statement nachzugehen, deute ich einen Zickzackkurs durch Filigran an und schlage eine Koexistenz mit der Kunst vor.

3. Wie siehst du die Solidarität in der heutigen Kunstwelt? Denkst du, dass noch einmal etwas Ähnliches wie die Schenkungen für das MoCA Skopje entstehen könnte?

Ich glaube, dass dies passieren kann und dass es die ganze Zeit stattfindet. Die Sichtbarkeit von Solidarität und ihre Wirkung hängen von der Größenordnung einer gesellschaftlichen Krise ab. Die Verteilung von Vermögen und von Informationen fühlt sich wie ein Hindernis an, das uns daran erinnert, dass wir nie in derselben sozialen, klassenspezifischen oder privaten Position sind; deshalb haben unsere Reaktionen eine unterschiedliche Resonanz, was dazu führen kann, dass wir frustriert sind und uns schlecht oder ohnmächtig fühlen. Wenn wir in diesem Kontext Solidarität als eine Geste gegen die Armut oder den Mangel oder das Unglück verstehen, können wir als Künstler*innen oder als Menschen, die im kulturellen Feld aktiv sind, versuchen, unser Wissen, unsere Fähigkeiten oder unsere Vorstellungskraft mit anderen zu teilen.

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