Iman Issa

Iman Issas Praxis zeichnet sich durch einen scharfen Blick auf die Macht des Displays im Bezug auf kulturelle und akademische Institutionen aus. Während sie (geboren 1979, lebt und arbeitet in Wien und Berlin) häufig experimentell an ihre Arbeit herangeht und die Betrachtenden auffordert, ihre eigenen Erfahrungen und Erwartungen in das Projekt einzubringen, legt die Künstlerin Wert auf eine präzise und klare Bildsprache. Sie übersetzt ihr Interesse an Geschichte, Museen und Sammlungen in eine Methode, mit der es möglich wird, vorgefasste Meinungen hinsichtlich unseres Wissens und historischer Transparenz oder Genauigkeit zu destabilisieren. Ihre in neuen Kontexten und Kombinationen situierten Objekt-Text-Paarungen bieten alternative Erzählweisen und Vorstellungen von dem, was wir zu wissen glauben. Ob es nun um die Rolle von Kunsttexten wie in ihrer Serie Lexicon [Lexikon] (2012–2019) oder das Verhältnis zwischen Künstler*in und Werk in Proxies, with a Life of Their Own [Stellvertreter*innen und ihr Eigenleben] (2019–) geht – Iman Issas Arbeiten sind stets nuancierte Betrachtungen von Bedeutungen, die sich unter der Oberfläche des Sichtbaren verbergen.

In ihrem Beitrag mit dem Titel I, the Artwork [Ich, das Kunstwerk] kombiniert Iman Issa ihre eigenen Arbeiten mit acht Kunstwerken aus der Sammlung des MoCA Skopje. Der gemeinsame Nenner in dieser Zusammenstellung aus Skulpturen und Druckgrafiken besteht darin, dass es sich durchwegs um Figuren handelt, deren Gesichter mehrheitlich nicht zu sehen sind.

Die Auswahl wirft die Frage auf, ob die Künstler*in hinter dem Werk zurücktreten und ein Kunstwerk seinen eigenen institutionellen und künstlerischen Kontext bestimmen kann. Sorgfältig ausgewählt und arrangiert, verweben sich die Skulpturen, Fotografien und Videoarbeiten zu einer Art Remake, bei dem ursprüngliche Bezüge aufgehoben und neue hergestellt werden. Durch die Auflösung dieser Verknüpfungen können die Kunstwerke nicht mehr über die Biografien der Künstler*innen gelesen werden und regen stattdessen eine Vielzahl anderer Verstehensweisen an.

Im Gegensatz zu den üblichen Hierarchien und Vorannahmen lädt I, the Artwork [Ich, das Kunstwerk] die Betrachtenden ein, sich auf einen spielerischen Denkprozess mit alternativen Deutungsmöglichkeiten und neuen Verbindungslinien einzulassen. Für Iman Issa ermöglicht dieser Prozess, „die Werke vor der Aneignung zu bewahren, indem die Aneignung sehr transparent gemacht wird“.

No Feeling Is Final. The Skopje Solidarity Collection – Audioguide
Kunsthalle Wien Podcast: Iman Issa

Iman Issa über ihre Arbeit

Beim Nachdenken über die Kunstwerke in der Solidarity Collection des MoCA Skopje, die ich gesehen habe, und bei der Reflexion darüber, was sie heute bedeuten könnten und in welchem Verhältnis sie zu meinen eigenen Anliegen und Kunstwerken stehen oder stehen könnten, kam mir eine Kombination von Worten in den Sinn, die ich in den zurückliegenden Monaten zu verstehen versucht habe. Dies geschah durch weitere Lektüren, das Schreiben von Texten und die Herstellung von Kunstwerken, vor allem aber durch die Planung der Konstellation von Elementen, die ich in der Kunsthalle Wien im Kontext dieser Ausstellung zeigen werde. Die Worte, die durch die Sammlung getriggert wurden, standen in der ersten Person und lauteten Ich, das Kunstwerk.

Es ist allgemein üblich, Kunstwerke als Opfer ihrer Umwelt anzusehen, die von obsessiven Künstler*innen, gewissenhaften Kurator*innen oder engagierten Institutionen, die ihnen den richtigen Kontext bieten können, gerettet werden müssen. Doch es gibt noch eine andere, wenn auch seltene Art Kunstwerk, dem man schon begegnet ist und das man kennt: ein Kunstwerk, das weder daran interessiert ist, als Opfer seines Kontexts angesehen zu werden, noch daran, den Absichten der Person zu entsprechen, die es gemacht hat.

Ein Kunstwerk, das sich nach Belieben zeigt oder verbirgt, wobei es das Datum und den Ort seiner Konzeption häufig ändert. Ein Kunstwerk, das, wenn es in die Geschichte verbannt wird, diese ganze Geschichte in Zweifel zieht, und das, wenn es der Identität, den Vorlieben oder Abneigungen seiner Hersteller*innen zugeschrieben wird, beschließt, sich anderen Hersteller*innen zuzuschreiben, die es vielleicht selbst erfunden hat oder die zu einer anderen Zeit gelebt haben, die besser zu seiner aktuellen Haltung passt. Ein Kunstwerk, das es vielleicht sogar auf sich nimmt, die Namen seiner Hersteller*innen zu behalten, aber ihre Identität umgestaltet und sie mit anderen Ansichten und Eigenschaften verknüpft, die ihm mehr entsprechen – ein Selbst, das in einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort situiert ist, sich jedoch das Recht vorbehält, sich zusammen mit der Veränderung dieser Zeit und/oder dieses Orts zu verändern. Ein Kunstwerk, das sich einer Rechtsanwältin, einem Historiker, einer Handwerkerin oder irgendeiner anderen Person zuschreibt, obwohl es sehr wohl weiß, dass es einzig und allein von Künstler*innen gemacht wurde und gemacht werden kann. Ein Kunstwerk, das die Institution, in der es platziert wurde, umgestaltet: Mal entlastet es diese und stellt sich stolz hinter ihre Leitsätze, mal bringt es sie in allergrößte Verlegenheit, distanziert sich offen von ihr und macht es ihr unmöglich, ihre bisherige Tätigkeit fortzusetzen. Ein Kunstwerk, das sich das Recht vorbehält, gelegentlich an aktuellen Debatten teilzunehmen, die Überlegungen von Kurator*innen zu bestätigen oder auch stumm zu bleiben, trotz aller Anstrengungen, es zum Sprechen zu bringen. Ein Kunstwerk, das, wenn es Kunstwerk genannt wird, diese Bezeichnung zugunsten von etwas anderem zurückweist und stattdessen darauf beharrt, als Dokument, Artefakt, Objekt, Film, Geschichte oder Nachrichtenmeldung bezeichnet zu werden. Ein Kunstwerk, das an jedem Standort existieren kann, sei es ein ethnografisches Museum, ein Stadtmuseum, ein Volkskundemuseum, ein Museum für moderne oder zeitgenössische Kunst oder etwas ganz anderes. Ein Kunstwerk, das jedes Aussehen, jeden Klang, jede Haptik, jede Materialität oder immaterielle Präsenz annehmen kann und das allein dadurch, dass es jede Bedingung seiner Präsentation, Deutung, Klassifizierung und Rezeption überstrahlt, sich selbst stolz und ohne zu zögern zum „Kunstwerk“ erklären kann. Eine Erklärung, die in den scharfsinnigen Hersteller*innen des Kunstwerks vielleicht das dringende Bedürfnis aufkommen lässt, sie für sich selbst zu übernehmen, wozu sie sich womöglich auch tatsächlich entschließen, vorsichtig die Bezeichnung Ich, das Kunstwerk aufgreifen und kurz innehalten, bevor sie ein*e Künstler*in wird (mich) irgendwann im Jahr 2023 ausstellen hinzufügen.